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Als die Schulkonferenz des Gymnasiums 1990 den Beschluss fasste einen auf ein Jahr befristeten Austausch mit einer Bozener Schule als Pilotprojekt durchzuführen, ahnte wohl noch niemand, dass dies der Beginn einer einmaligen Erfolgsstory werden sollte. Mittlerweile hat sich der ununterbrochen jedes Jahr stattfindende Austausch als fester Bestandteil des Schulfahrtenprogramms etabliert.
Der Name der Bozener Schule hat sich zwar geändert, aus Salvemini wurde Cesare Battisti, jedoch nicht die immer wieder beeindruckende Herzlichkeit, mit der die ostwestfälischen Schüler und Schülerinnen der 9. Lateinklassen von tutta la famiglia aufgenommen werden.
Die räumlichen Unterbringungsmöglichkeiten sind in den italienischen Familien in der 100Tausend Einwohner zählenden Metropole des Alto Adige, wie sich Südtirol als italienische Provinz nennt, sehr begrenzt. Mitunter wird sogar Opa oder Oma für die Dauer des Aufenthaltes der deutschen Schüler ausquartiert! Diese Unannehmlichkeiten werden jedoch gerne in Kauf genommen, denn Gastfreundschaft ist in der italienischen Mentalität als wesentlicher Bestandteil fest verankert.
Das Programm, das den deutschen Gymnasiasten geboten wird, ist sehr umfangreich: Eine Stadtbesichtigung von Bozen (seit Jahren gehört auch der „Ötzi“ dazu!) ist genauso Bestandteil wie ein Besuch des Bozener Hausbergs, des Ritten, mit seinen Erdpyramiden. Daneben lernen die Lateinschüler die alte Römerstadt Verona ebenso kennen wie die Stadt der Gondeln Venedig.
Verona als Stadt der Liebenden ist aber konkurrenzlos die Nummer 1 unter den Reisezielen der deutschen Teens und Twens: Während das römische Amphitheater und das in Fragmenten erhaltene Löwentor mehr oder wenig hingenommen werden, steht offenbar als Hauptziel schon das Haus der Julia mit dem berühmten Balkon fest, wo dann unbedingt Liebesschwüre schriftlich an einem freien Platz an der Hauswand angebracht werden müssen; auch unter dem Sarkophag der früh Gestorbenen müssen Liebesbriefe in der Hoffnung auf schnelle Erfüllung abgelegt werden…!!!
So werden die Beziehungen zwischen deutschen und italienischen Schülerinnen und Schülern offensichtlich auch dadurch vertieft, was dem Austausch nur förderlich sein kann. Tränenreich gestaltet sich dann der Abschied am Bozener Bahnhof nach einem in der Regel 8tägigen Aufenthalt in bella Italia. Aber schon nach ein paar Monaten, die per SMS oder E-mail gut überbrückt werden können, steht der Gegenbesuch der italienischen Schüler an und die Portaner Gymnasiasten können sich dann ihrerseits als gute und aufmerksame Gastgeber präsentieren.
Dabei steht auch in Deutschland ein abwechslungsreiches Programm an: Neben Unterrichtsbesuchen zur Verbesserung der Deutschkenntnisse (die Italiener müssen bei einer Zweisprachigkeitsprüfung umfangreiche Deutschkenntnisse vorweisen!) stehen Fahrten nach Minden und Hameln jeweils mit Stadtführungen an. Den Höhepunkt stellt allerdings die 2tägige Berlinfahrt mit ausführlichem Sonderprogramm dar.
Summa summarum zeigt sich jedes Jahr aufs Neue, dass sich die aufwändigen Vor- und Nachbereitungen der Austauschfahrt lohnen, und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen werden Grundzüge eines friedlichen und partnerschaftlichen Zusammenlebens in einem geeinten Europa durch menschliche Kontakte aufgezeigt, auf der anderen Seite können den jungen Menschen auch Facetten eines großflächigen Geschichtsbildes vermittelt werden, wenn die Zusammenhänge eines mitteleuropäischen Kulturraumes mit über 2000jähriger Tradition dargestellt werden.
Schließlich kann es einen Philologen immer wieder mit Freude erfüllen, wenn seine 15jährigen Lateinschüler in der zweisprachigen Austauschstadt verwundert das Weiterwirken von Vokabeln der Muttersprache Latein in der italienischen Tochtersprache an Beispielen wie via, mons, pons, castellum, amor (via, monte, ponte, castello, amore) feststellen.
Thomas Hartmann