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Am 8. März war Frau Domke zu Besuch in der 6b, um als Zeitzeugin von der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit zu berichten. Wir hatten „Krücke“ (von P. Härtling) gelesen – die Geschichte eines Jungen, der in der Nachkriegszeit seine Mutter verloren hat und dem ein Einbeiniger hilft -, den dazugehörigen Film gesehen und uns mithilfe der „Bibliothek der Sachgeschichten“ (Sendung mit der Maus) schon über die Nachkriegszeit informiert. Aber wie sah diese Zeit in Porta Westfalica aus? Genau dazu konnten wir Frau Domke viele Fragen stellen und sie war sehr offen und nett zu uns. Die fast 89-Jährige wusste viel zu erzählen, sodass wir gespannt zuhörten, mitschrieben und die zwei Schulstunden in der Schülerbibliothek wie im Fluge vergingen. Und das haben wir erfahren:
Zu Beginn des Krieges lebte Frau Domke mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in der Ortsstraße in Hausberge. Da ihr Vater früh verstorben war, mussten sie mit 60 Reichsmark auskommen. Es gab Lebensmittelmarken, aber dafür bekam man nicht viel – nicht genug, um satt zu werden. Seit damals weiß Frau Domke, dass Brot niemals zu alt oder zu hart ist. Seitdem wirft sie auch keine Lebensmittel mehr weg. Neue Kleidung gab es nicht, dafür wurde alte umgearbeitet. Auch mussten ihr Bruder und sie mühsam mit dem Bollerwagen Kohle und Koks aus dem Vogelparadies den Berg hochschleppen. Die Kinder damals spielten viel zusammen, Spielzeug wurde selbst gebastelt. Frau Domke wäre gern zur weiterführenden Schule gegangen, aber 40 Reichsmark Schulgeld wären zu viel gewesen. So gab es auf der Volksschule zerfledderte Bücher; als eins relativ neu war, hat sie es regelmäßig in einen neuen Umschlag gebunden.
Frau Domke hat nicht wie viele Frauen damals in einem fremden Haushalt gearbeitet, sondern den Beruf der Modistin (Hutmacherin) gelernt, und zwar in Minden. Dort hat sie auch eine besonders gefährliche Situation erlebt: Bei einem Bombenangriff flüchtete sie mit zwei Kolleginnen in den Keller. Da auch ein Hydrant getroffen worden war, lief der Keller voll Wasser, und da auch noch der Ausgang verschüttet war, mussten sie sich durch einen kleinen Spalt hindurchzwängen und so retten. Danach hatte Frau Domke Albträume und Angst in geschlossenen Räumen, die erst 30 Jahre nach dem Krieg verschwunden ist.
Wenn Frau Domke mit ihrer Freundin über die Weserbrücke ging, begegneten sie regelmäßig einer bewachten Kolonne von Häftlingen, die zum Arbeiten in den Jakobsstollen geführt wurden. Da sie so elend und verhungert aussahen, wickelten die Freundinnen Brot in Zeitungspapier und warfen es heimlich den Gefangenen zu. Dies war sehr gefährlich, da es verboten war und sie, wenn die Aufseher sie gesehen hätten, verhaftet worden wären. Vielleicht ist Frau Domke auf der Brücke auch einem jungen Dänen, Jörgen Kieler, begegnet, der als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten im Barkhauser KZ eingesperrt war. Nachdem sie Jahrzehnte später ein Buch von diesem Dr. Kieler über die schreckliche Zeit im KZ gelesen hatte, war sie tief betroffen und voller Schuldgefühle, schrieb ihm einen Brief, und es entstand eine richtige Freundschaft zwischen beiden. Leider ist Dr. Kieler im Februar gestorben.
Zur damaligen Zeit öffentlich Kritik am Nazi-Regime zu äußern war zu gefährlich, und selbst nach dem Krieg wurde die Wahrheit über das KZ-Lager lange geheim gehalten. Frau Domke vermutet, dass die Menschen Angst vor der Wahrheit hatten. Als Frau Domke all dies erzählt hatte, war sie schon etwas mitgenommen. Sie hat gedacht, dass es, nachdem all dies geschehen war, nie wieder Krieg geben würde! Und so hat sie uns zum Schluss eindrücklich mit auf den Weg gegeben: Menschen sind alle gleich! Kein Mensch ist mehr wert als ein anderer, sei es wegen seiner Hautfarbe, seiner Stellung oder seines Reichtums!
P. Härtling hat sein Buch gegen das Sprichwort „Der Mensch ist des Menschen Wolf.“ geschrieben. Dass der Mensch des Menschen Freund ist, das hat uns auch Frau Domke gezeigt.
Die Klasse 6b – samt Frau Depping – dankt Frau Domke für Ihren Besuch und all das, was sie erzählt hat!
Vivian Haak, Merle Hartmann, Emely Oestreich, Marian Rubin (Klasse 6b)